Rückbauwerk Tiefstack

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Rückbauwerk Tiefstack

Dem Rauch ein Denkmal - Rendering des zukünftig aufgebahrten Schlots

Irgendwann wird es Geschichte sein, das Verbrennungszeitalter. Auf die Relikte des Industriezeitalters werden wir wie auf etwas Fremdes blicken. 

Bis 2030 soll das von der Elbinsel Kaltehofe aus sichtbare Heizkraftwerk Tiefstack stillgelegt werden. Bis dahin versorgt es täglich bis zu 100.000 Haushalte mit Fernwärme und Strom und produziert dabei jährlich ca. 1,3 Millionen Tonnen CO2. PARA nimmt das Ende des Kraftwerks vorweg und trägt das Zeitalter der Verbrennung zu Grabe: Auf dem Gelände der Stiftung Wasserkunst wird in Zukunft ein Trägerbauwerk den Schornstein des Kraftwerks nach dessen Rückbau aufnehmen. Der Schlot, einst weithin sichtbares Wahrzeichen der Industrieanlage, wird als Denkmal öffentlich aufgebahrt.

Die Kampagne Rückbauwerk Tiefstack ist Startschuss, Machbarkeitsstudie und Wartehäuschen. Besucher*innen sind eingeladen, schon jetzt die künftigen Dimensionen des Denkmals auf dem Gelände zu erleben und dem Ende des fossilen Zeitalters wartend entgegenzufiebern.

Auf einem Display am Rückbauwerk wird die Restlaufzeit bis zur geplanten Abschaltung sekundengenau angezeigt. Mit jedem Tag, den die Besucher*innen hier verbringen, wird Energie gespart, die die Zeit bis zum Abschalten des Kraft- werks verkürzt. Pro Mensch pro Besuchstag um genau eine Sekunde. Ein weiterer Schritt Richtung Rückbau.

And I come back to find the stars misplaced And the smell of a world that has burned - Geehrte Wartende, künftig oder gegenwärtig Trauernde, untröstliche Friends, am 17. Januar neunzehnhundertsiebzehn errichten die Hamburgischen Elektricitäts-werke kurz HEW hier gegenüber, an einem Nebengewässer der Elbe, an der Billwerder Bucht, im Moorfleet, in den Vier- und Marschlanden, wo es zu dieser Zeit (so stelle ich es mir zumindest vor) noch nicht so viel gibt außer etwas Schilfrohr und ein paar lautlos anbrandenden Wellen und einigen Hektar bebaubarem Land, das man der feuchten Umgebung, durch Eindeichung abgewann, das Kohlekraftwerk Tiefstack, dessen insgesamt vier einhundert Meter hohe Schlote fortan das Wahrzeichen der HEW bildeten und dessen Dampfturbinen das gesamte Hamburger Stadtgebiet zuerst mit Strom und ab 1930 auch mit Wärme versorgen. Verehrte Trauernde, bestürzte Friends, wir haben uns heute hier versammelt um dem Ende des Kraftwerks entgegen zu sitzen, dem Ende des Heizkraftwerks Tiefstack, das 1984 abgerissen und durch ein neues Kraftwerk ersetzt wurde, ein modernes Kraftwerk, das auch Tiefstack heißt und das ebenfalls über vier Schlote verfügt, von deren tröstlichen Anblick wir uns heute gemeinsam kollektiv zusammen verabschieden wollen und dessen künftige Aufbahrung an den Ufern des Elbkanals unsere kleine Tribüne hier schon heute vorwegnimmt denn auch dieses neue Kraftwerk geht dem Ende entgegen und soll bis spätestens 2030 abgeschaltet und rückgebaut werden. Zwischen dem 5.11.2022, verehrte Friends, und dem 31.12.2030, liegen 275 Millionen 333 tausend 399 Sekunden. Ein Meer von Sekunden. Ein Ozean von Sekunden. Meine verehrten und deprimierten Friends, wir haben uns heute hier versammelt, um aus dem Ozean der Sekunden fingerhutweise die Zeit abzuschöpfen, um dem Gebirge der Sekunden, einige Kieselsteine zu entnehmen. Wir tun das, indem wir nichts tun, nichts weiter, als erst das Ende des Kraftwerks, und schließlich das Ende der Verbrennung an sich abzuwarten. (…) (…) (…) Seit 1984, so liest man, versorgt das Heizkraftwerk Tiefstack, täglich 100.000 Haushalte mit Wärme und Strom. 100.000 Haushalte, deren Bewohner*innen sich in der dunklen Wohnung zum Thermostat vortasten und darauf warten, dass es wärmer wird 100.000 Haushalte, die unter der Dusche versuchen, die Temperatur einzustellen, damit das sprudelnde Wasser aus dem Duschkopf nicht zu heiß ist und auch nicht zu kalt sondern genau richtig lauwarm, angenehm. Von den 100.000 Haushalten, die das Kraftwerk ab 2030 nicht mehr versorgen wird, zähle ich heute (er zählt die Besucher:innen) vielleicht fünfzig, oder fünfundsiebzig maximal hundert Haushalte vielleicht sind es mehr, vielleicht sind es weniger, vielleicht kommen manche von euch ja von weiter her. Obwohl ja häufig behauptet wird, man sähe es den Hamburger*innen an, dass sie aus Hamburg kommen, lese ich in euren Gesichtern erst einmal nichts, außer natürlich die mühsam zurückgehaltenen Tränen, angesichts des Abschieds, der Schlote am Horizont, und anders als zum Beispiel den Photonen, sagt man den Hamburger*innen auch nicht nach, dass sie an zwei Orten gleichzeitig sein können. Eure Anwesenheit hier, auf der Elbinsel Kaltehofe, heißt also auch, dass ihr nicht dort seid, wo ihr sonst seid. In den Hamburger Haushalten. Und wenn ihr schlau wart, dann habt ihr, bevor ihr euren Haushalt verlassen habt, das Thermostat ein Stück weit heruntergedreht, sodass also der Haushalt, aus dem ihr kommt, vom Heizkraftwerk Tiefstack, derzeit nicht beheizt wird. Meine trauernden Friends, ist euch bewusst, dass wir, indem wir hier sind, gemeinsam dem Ende ein Stück näher gekommen sind? Dem Ende des Zeitalters der Verbrennung. Dass jeder und jede, die derzeit hier ist und nicht zuhause, hier und nicht dort das Zeitalter der Verbrennung um eine Sekunde verkürzt. Ein Fingerhut weniger in den Wassermassen der Sekunden, ein Kieselstein weniger im hoch aufragenden Gebirge der Zeit zwischen jetzt und 2030? Einundzwanzig Einundzwanzig Einundzwanzig Jede Person gleich eine Sekunde weniger Rauch. Einundzwanzig Einundzwanzig Einundzwanzig Eine Sekunde weniger CO2. Einundzwanzig Einundzwanzig Einundzwanzig Jede Person, die auf den Buzzer drückt ist gleich eine Sekunde weniger Aufkündigung der globalen Zukunft. Drückt auf den Buzzer meine Friends, ladet eure Freund*innen, eure Familien und Feinde hierher ein, damit sie auch auf den Buzzer drücken. Gemeinsam ersitzen wir die Energiewende, mit unseren frierenden Hintern, mit unseren zitternden Oberschenkeln, sitzen wir die Krise einfach aus. Energiekrise aussitzen ist unser Motto am heutigen Tag. Abwarten, meine tränenreichen Friends, abwarten, und Schmetterlingsblütentee trinken. Schmetterlingsblütentee, dem man nachsagt, er beuge dem Ergrauen der Haare vor, er verzögere die Bildung von Falten, er lindere Schmerzen, löse Ängste und verbessere obendrein die Sehkraft, sodass ihr, geehrte friends, tapfere Wartende, deutlich und scharf und ungetrübt von Gefühlen der Furcht und des Mißmuts und überdies faltenfrei und mit leuchtendem Haar, den am Horizont aufragenden Vierlingsschlot, des Heizkraftwerk Tiefstacks, vor dem Grau des Hamburger Himmels erkennen könnt, in Erwartung des Falls dieses Schlots. Geehrte Trauernde, Wartende, Friends, willkommen in der Gegenwart.